Frauen in Männerdomänen. Musik als männerdominierte Sphäre und Identitätsbildung von Frauen im Hip-Hop

von Julia Avril
 
1. Warum wissenschaftliche Arbeiten über patriarchale Strukturen noch immer relevant sind
 
Obwohl der Begriff des Patriarchats in manchen Ohren anachronistisch klingen mag und Feminismus „eine Bewegung von vorgestern“ zu sein scheint (Plesch 2013: 184), sind die sozialen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern[1] in allen Lebensbereichen der Gesellschaft immer noch präsent. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlicht Artikel mit Überschriften wie: „Elternschaft drängt Frauen immer noch in unbezahlte Arbeit“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2017c) und rät Frauen sich als solche zu verstecken, wenn sie beruflichen Erfolg haben möchten (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung 2017b). Gleichzeitig wird im Musikjournalismus und den sozialen Medien Cardi B bejubelt, eine junge Schwarze Rapperin, die es geschafft hat, mit ihrer Musik auf Platz eins der US-Charts zu kommen und das als erste weibliche Rapperin seit 1998 (vgl. Spiegel Online 2017). Unter diesen Blickpunkten wird deutlich, dass gesellschaftliche Lebens- und Arbeitsbereiche immer noch von patriarchalen Strukturen durchzogen sind und Frauen sowohl im Bereich der privaten Familien- und Hausarbeit, als auch im Bereich der Erwerbsarbeit, sei es nun in technischen Berufen oder in der Musikindustrie, Nachteile und strukturelle Diskriminierung erfahren.

Im Folgenden möchte ich aufzeigen, wie besonders solche Frauen Diskriminierung erfahren, die in Männerdomänen agieren. Zu den Männerdomänen zähle ich primär die produktive Sphäre der Erwerbsarbeit und insbesondere die in dieser Sphäre inbegriffene Musikindustrie. Anhand von drei Musikstücken aus dem Hip-Hop, mache ich zum einen Aussagen zu dem Genre Hip-Hop als Männerdomäne und wie dort patriarchale Strukturen reproduziert werden (Kapitel 2), und zum anderen erläutere ich die Selbst- und Fremdbilder von Frauen in diesem Musikgenre sowie in beruflichen Männerdomänen insgesamt (Kapitel 3). Abschließend beschreibe ich die Positionen Schwarzer Frauen innerhalb patriarchaler Strukturen und die Identitäten Schwarzer Musikerinnen (Kapitel 4). Die angeführten Musikstücke dienen dabei nur als Einstieg in die theoretische Thematik. Es wird meinerseits keine inhaltliche Text- oder Musikanalyse vorgenommen, sondern es geht in dieser Arbeit lediglich um das wissenschaftliche Aufgreifen musikalischer Motive.


2. Edgar Wasser – Bad Boy: Hip-Hop als Männerdomäne und als Spiegel des Patriarchats



„Sprechgesang ist Männersache. Mischt euch da nicht ein,
ich fang' ja auch nicht an mit Wäsche machen.“

In dem Stück von Edgar Wasser geht es um die klare Trennung von Geschlechterrollen in einer patriarchalen Gesellschaft. Geschlechterstereotype werden benannt und mit sexistischen Äußerungen und Verhaltensweisen verknüpft. Soziale Ungleichheit von Frauen und Männern im Patriarchat, diskriminierende Geschlechterstereotype und deren Reproduktion im Hip-Hop sind demnach Motive die ich im Folgenden erläutern möchte.

Patriarchat und ungleiche ökonomische Verhältnisse von Frauen und Männern

Patriarchat bezeichnet eine Gesellschaft, deren soziale Beziehungen von männlicher Herrschaft und von Dominanz von Männern über Frauen gekennzeichnet sind (vgl. Cyba 2010: 17). Die im Patriarchat feststellbaren asymmetrischen Machtbeziehungen und sozialen Ungleichheiten sind in allen sozialen Bereichen feststellbar und bilden keinen natürlichen oder selbstverständlichen Problemkomplex (vgl. ebd). Ausgehend von dieser Definition, bedeutet dies aber auch, dass patriarchale Strukturen und Machtverhältnisse veränderbar sind.


Patriarchat und die damit einhergehende soziale Ungleichheit zwischen Männern und Frauen entstehen aus einer Komplexität verschiedener Machtverhältnisse. Beispielsweise solche, die sich in Klassenunterschieden oder in Unterschieden nach Ethnie und Herkunft manifestieren (Carstensen/Groß 2010: 25, 31). Je nach Lebensbereich oder gegebenen Verhältnissen sind patriarchale Machtverhältnisse anders gekennzeichnet und haben unterschiedliche Mechanismen zur Ursache. Mechanismen aus allgemein rechtlichen und sozialpolitischen Vorgaben, aus sozialen Konventionen, aus der Benachteiligung im Erwerbsbereich, aus Traditionen, Gewaltausübung oder alltäglichem Handeln (vgl. Diezinger 2010; Cyba 2010: 21) wirken stabilisierend auf vorhandene patriarchale Strukturen. Doch durch das Identifizieren der Mechanismen als solche, können patriarchale Strukturen auch delegitimiert und beseitigt werden.

Patriarchale Strukturen sind sowohl im privaten Bereich, als auch im Bereich der Erwerbsarbeit verankert. Zum einen durch die geschlechtliche Trennung in reproduktive Haus- und Familienarbeit und produktive Erwerbsarbeit, und zum anderen im Bereich der Erwerbsarbeit selbst, indem Frauen Tätigkeiten gemäß ihrer traditionellen Geschlechterrollen ausüben (vgl. Carstensen/Groß 2006: 14). Dadurch, dass Frauen demnach eher versorgende, erziehende oder emotionale Tätigkeiten ausführen, sind sie dem Lohnarbeitsverhältnis nicht als neutrale Individuen, sondern immer in ihrer Rolle als Frau unterworfen (vgl. ebd.). Zu beachten ist zusätzlich, dass Frauen selten nur in einer der beiden gesellschaftlichen Sphären tätig sind. Also selten nur Reproduktions- oder nur Produktionsarbeiten durchführen, sondern doppelt in die gesellschaftlichen Lebens- und Produktionsbedingungen eingefügt sind. Indem Frauen zum einen private Haus- und Familienarbeit ausführen und zum anderen in Erwerbsarbeit eingebunden sind, zwei Bereiche die in sich widersprüchlich strukturiert und in unterschiedliche soziale Verhältnissen eingebettet sind, unterliegen Frauen einer doppelten Vergesellschaftung (vgl. Becker-Schmidt 2010).

Die Musikindustrie reproduziert patriarchale Strukturen

Da patriarchale Strukturen in allen gesellschaftlichen Bereichen herrschen, sind ungleiche Machtverhältnisse von Männern und Frauen auch im Bereich der Musik vorhanden. "Mainstream Pop ist ein Spiegel der generell vorherrschenden Geschlechterverhältnisse - wer sich anpasst und nicht aus dem Bild läuft, wird belohnt." (Plesch 2013: 47). So Tine Plesch über Geschlechterverhältnisse in der Popmusik der 90er Jahre und beginnenden 2000er. Aber auch bei der Betrachtung anderer Genres wird deutlich, dass Musik eine Männerdomäne ist. So benutzt die amerikanische Soziologin Tricia Rose klare Worte, wenn sie sagt, dass Männer Angst vor dem Ausverkauf einer männlichen Musikkultur hätten sowie Befürchtungen vor dem Verlust des Raps als männlich geprägte Domäne (Tricia Rose über George Nelson, in: Plesch 2013: 131). Weiterhin benennt sie die männliche Sorge, dass mit dem Eintreten von Frauen in den Rap, die Ökonomisierung des Genre stark ansteigen könnte und der Rap Authentizität verlieren würde (vgl. ebd.).


Die eingangs erwähnte doppelte Vergesellschaftung von Frauen besteht auch in der Musikindustrie. Musikerinnen mit Kindern sind benachteiligt, da die Häufigkeit von Auftritten, die Präsenz in der Presse sowie das wochenlange 'Auf-Tour-sein' mit der Kindererziehung nicht vereinbar sein kann. Der damit einhergehende Popularitätsverlust geht oft mit einem ökonomischen Verlust einher (vgl. Plesch 2013: 50).

Die soziale Konstruktion von Geschlechterrollen

Die Kategorie 'gender' beschreibt das soziale Geschlecht, welches spezifische Geschlechterrollen und -eigenschaften beinhaltet (Gildemeister 2010: 137). Geschlechtereigenschaften die aus gesellschaftlichen Zuschreibungen entstehen, werden entweder als männlich oder weiblich konnotiert betrachtet, wobei männliche Eigenschaften meist höher gewertet werden als weibliche (vgl. Eckes 2010). Das führt dazu, dass auch gewisse Tätigkeiten als 'männlich' oder 'weiblich' gelten und dementsprechend eine unterschiedliche Wertigkeit erhalten. Während Männer den Frauen männlich konnotierte Tätigkeiten nicht zutrauen, zeigen Frauen Angst, Desinteresse oder Misstrauen bei der Ausführung männlich konnotierter Tätigkeiten und ziehen beispielsweise männlich geprägte Berufe für die eigene berufliche Laufbahn gar nicht in Erwägung (vgl. Plesch 2013: 47 f.; Teubner 2010: 500).


Geschlechterverhältnisse wirken nicht einfach nur passiv auf Individuen, sondern die Individuen können diese Verhältnisse auch mittragen, beziehungsweise aktiv verändern (Carstensen/Groß 2006: 18). Die aktive Rolle der Frau, die zumeist unterschätzt wird, liegt nicht nur in der Möglichkeit patriarchale Strukturen in Frage zu stellen und sie zu delegitmieren, sie kann auch dazu beitragen ungleiche soziale Machtstrukturen zu festigen (vgl. ebd.). Die Frage ist jedoch, ob die Akzeptanz und Festigung patriarchaler Strukturen durch Frauen unbewusst passiert, nämlich aufgrund des alltäglichen Handelns und der eigenen Sozialisierung als Frau innerhalb dieser Strukturen oder, ob die Reflexion der eigenen Verhältnisse und der individuelle Standpunkt darin als Frau vollzogen werden kann, sodass eine Veränderung dieser Verhältnisse möglich gemacht werden kann.

Der Geschlechterdualismus ist nicht von vorneherein gegeben sondern wird erst diskursiv hergestellt und mit heterosexuellen, weiblichen und männlichen Merkmalen und Identitäten verknüpft. Mann-Sein oder Frau-Sein wird also tagtäglich als ein Ergebnis von Handeln und Sprache hergestellt (vgl. ebd.: 31). Durch unsere Eigenaktivität, Mann oder Frau zu sein, konstruieren wir also nicht nur unsere eigene Identität im Sinne eines 'doing gender' - wir konstruieren auch den gesellschaftlichen Konsens mit, was es heißt Mann oder Frau zu sein. Dies geschieht bewusst und unbewusst (vgl. Nacken 2006: 35).

Geschlechterstereotype und hegemoniale Männlichkeit in der Musik

Geschlechterstereotype werden in verschiedenen Musikgenres unterschiedlich aufgegriffen und hervorgebracht. Hip-Hop und Rap gelten als männerdominierte Sphäre mit spezifischen Männlichkeitsstereotypen die repräsentiert und vermarktet werden. Doch nicht nur im Hip-Hop, sondern auch im Rock oder der Popmusik werden bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit reproduziert. So verwenden Rockmusiker beispielsweise phallische Symbole wie Mikrofone oder Gitarren, um einen aggressiv-männlichen Geschlechterstereotypen zu vermitteln (vgl. Reitsamer 2006: 173 f.). Im Gegensatz dazu repräsentieren Popmusiker die Ideale einer heteronormativen romantischen Liebe, indem sie Balladen performen (vgl. ebd.). Musik im Allgemeinen unterstützt also durch die Vermittlung spezifischer Vorstellungen von Männlichkeiten, Geschlechterrollen die auf traditionellen Klischees basieren.


Männliche Stereotype und Normative etablieren sich innerhalb der Gesellschaft und werden dann als popkulturelle Images medial und musikalisch vermarktet, repräsentiert und somit legitimiert (vgl. ebd.: 178). Männlichkeit, Heterosexualität und weiß-Sein sind hierbei Merkmale die das westliche Patriarchat verkörpern und die Dominanz von Männern über Frauen gewährleisten (vgl. ebd.: 171). Diese Merkmale in ihrer Kombination beanspruchen, wenn sie in der Musik bevorzugt repräsentiert werden, kulturelle Hegemonien und werten gleichzeitig die Individuen ab, die sich nicht mit diesen Merkmalen identifizieren können, also Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe, Homosexuelle und Frauen (vgl. ebd.: 171/178). Das Frauenbild in der Musik wird entgegen den männlich konnotierten Merkmalen der Dominanz, Aggressivität und Aktivität, eher mit Passivität und Zurückhaltung gekennzeichnet (vgl. Plesch 2013; Reitsamer 2006: 171 f.).

Medien und Musik reproduzieren Geschlechterbilder

Erste Studien zur medialen Darstellung von Frauen kamen von Küchenhoff und Weiderer (vgl. Küchenhoff 1975; Weiderer 1993). Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Frauen im deutschen Fernsehen in allen Programmsparten unterrepräsentiert sind und gezeigte Frauenbilder meist mit dem traditionellen Rollenklischee der Hausfrau und Mutter in Verbindung gebracht werden oder mit dem der jungen attraktiven Frau, die einen männlichen Partner sucht (vgl. Küchenhoff 1975: 244 f.). Gesellschaftlich relevante Themen und Berichterstattung in den Feldern Politik und Wirtschaft, wurden fast komplett von männlichen Moderatoren aufgegriffen (vgl. ebd.: S. 249).


Beinahe zwanzig Jahre später, unternahm Weiderer Untersuchungen in der deutschen Fernsehberichterstattung, deren Ergebnisse sich nur wenig von denen von Küchenhoff unterscheiden. Frauen und frauenspezifische Themen waren weiterhin unterrepräsentiert und Zuschreibungen an weibliche Eigenschaften wurden immer noch von tradierten weiblichen Geschlechterrollen bestimmt (vgl. Weiderer 1993). Gründe für diese Erscheinung liegen unter anderem in der männlichen Dominanz innerhalb der Medienanstalten (vgl. ebd.: S. 325).

Auch heutzutage dominieren Männer den journalistischen Bereich, sowohl im Musikjournalismus als auch in anderen Bereichen der Berichterstattung (vgl. Plesch 2013; Pfannes 2004). Demnach sind hauptsächlich männliche Journalisten und männlich geprägte Medien daran beteiligt, Vorstellungen von Geschlecht und von Geschlechterrollen zu übermitteln. Indem zum Beispiel Frauen mit einer klassischen Rolle der Mutter oder Hausfrau in Verbindung gebracht werden oder weibliche Attraktivität und Äußerlichkeiten besonders hervorgehoben werden, tragen Medien dazu bei eine gesellschaftliche Akzeptanz für bestimmte Geschlechterrollen zu schaffen. Gerade Massenmedien, wie das Fernsehen oder Internet, haben einen hohen Einfluss auf die Sozialisation von Individuen und die Entwicklung von Bildern zu 'typischer' Weiblichkeit und Männlichkeit, sowohl bei Kindern und Jugendlichen, als auch bei Erwachsenen (vgl. Eckes 2010: 180; Pfannes 2004: 6). Mit der medialen Vermittlung bestimmter Frauenbilder oder allgemein von Geschlechtlichkeit, werden auch Vorstellungen von körperlicher Attraktivität transportiert. Frauen unterliegen hierbei in einem stärkeren Maß als Männer dem Druck attraktiv zu sein und vorherrschenden Schönheitsidealen zu entsprechen (vgl. Pfannes 2004). Entsprechen sie nicht dem Ideal, so wirkt sich die negative Bewertung des Äußeren auch auf die Bewertung der persönlichen Leistung aus (vgl. Zeisler 2017; Pfannes 2004: 11).

Auffällig ist die mediale Trivialisierung von Frauen. Einerseits werden sie übertrieben weiblich dargestellt, andererseits wird ihnen Weiblichkeit komplett abgesprochen (vgl. Pfannes 2006: 22; Baldauf 2006: 71). Ähnlich ist es bei Frauen in der Musik. Wenn Frauen in der Musik offen Sexualität benennen, werden sie entweder auf sexuelle Verantwortungslosigkeit denunziert oder zum Objekt hypersexualisiert (vgl. Plesch 2013: 130). Ob übertrieben dargestellt oder gänzlich abgesprochen, ist Sexualität nach wie vor ein bedeutendes gesellschaftliches Kriterium wenn es um die soziale Positionierung von Frauen und Musikerinnen geht. Auch mit offen sexistischem Verhalten werden Frauen dann konfrontiert. Sexismus tritt dann auf, wenn Verhaltensweisen auf der Annahme des ungleichen sozialen Status von Männern und Frauen basieren und traditionelle Geschlechterrollen befürwortet werden und sich dies in Vorurteilen oder Stereotypen manifestiert (vgl. Eckes 2010: 183). Haben Männer strukturelle Macht über Frauen, beispielsweise im beruflichen Arbeitsbereich, so fördert dies die Ausprägung eines positiven Sexismus, der sich in der Belohnung von Frauen bei der Erfüllung ihrer traditionellen Geschlechterrollen äußert (vgl. ebd.: 184). Frauen die ihren traditionellen Geschlechterrollen nicht entsprechen, also auch solche die in Männerdomänen tätig sind, technische weibliche Fachkräfte oder weibliche Rapperinnen im Hip-Hop, werden abgelehnt.

Selbstermächtigung durch die Rückeroberung der 'Bitch'

Ein Versuch der Selbstermächtigung von Frauen ist die Rückeroberung negativ konnotierter und auch sexistischer Begrifflichkeiten (vgl. Fichna 2006; Carstensen/Groß 2006: 24). Ein Beispiel ist der Begriff der 'Bitch' im Hip-Hop. Eigentlich von Männern verwendet, um Frauen abzuwerten, kann der Begriff umgedeutet eine positive Referenz auf ein gemeinsames Merkmal, beispielsweise das des Geschlechts oder der Herkunft sein. Der Begriff 'Bitch' funktioniert im Hip-Hop als ein Versuch der Emanzipation gegen einen männlichen hegemonialen Diskurs (vgl. Fichna 2006: 52). Der Begriff der 'Bitch' bleibt jedoch wegen seiner sexuellen Konnotation fragwürdig und kann überdies nicht von Männern benutzt werden, ohne die dem Wort zugeschriebene sexistische Bedeutung zu transportieren. So oszilliert der Begriff der Bitch zwischen dem Versuch der Selbstermächtigung und einer weiteren Festschreibung patriarchaler Verhältnisse (vgl. u.a. Zeisler 2017: 8; Reitsamer 2006: 52).


3. Sookee – Vorläufiger Abschiedsbrief: Selbst- und Fremdbilder von Frauen in Männerdomänen 

 

„Ich wollte lieber MC sein, doch war mal wieder nur Frau.“
Die Rapperin Sookee thematisiert die gesellschaftliche Wahrnehmung von Frauen in der Männerdomäne 'Rap' und beschreibt dabei die Ablehnung und Diskriminierung gegenüber Frauen, wenn sie mit klassischen Geschlechterrollen brechen. Motive die ich infolgedessen beschreiben möchte, sind die Reproduktion von Geschlechterrollen im Erwerbsarbeitsbereich, die soziale Ungleichheit von Frauen und Männern in der Erwerbsarbeit sowie die ablehnenden Verhaltensweisen denen Frauen in männerdominierten Erwerbsarbeitsbereichen ausgesetzt sind.

Der Beruf reproduziert klassische Geschlechterrollen

Frauen befinden sich durch ihre doppelte Vergesellschaftung von vorneherein im Nachteil gegenüber Männern, denn obwohl sie vorrangig auf die unentgeltliche Arbeit im Bereich der Familie festgelegt sind, sind sie dennoch dem Zwang zur Aufnahme einer Erwerbsarbeit unterlegen, sofern die familiäre Existenz bedroht ist (vgl. Beer 2010: 59; Becker-Schmidt 2010). Und obwohl die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mittlerweile ein hohes gesellschaftliches Bewusstsein erlangt hat, sind Frauen immer noch häufiger und länger in unbezahlter Haus- und Familienarbeit tätig als Männer und finden sich nach der Geburt eines Kindes oft in einer Retraditionalisierung ihrer klassischen Geschlechterrolle als Hausfrau und Mutter wieder (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung 2017c).


Dieser Umstand trägt dazu bei, dass die berufliche Segregation von Frauen und Männern immer noch vorhanden ist und sich die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern auch über den Beruf reproduziert (vgl. Teubner 2010: 500). Deutlich wird dies bei der Betrachtung der Berufs- und Ausbildungswahl von Männern und Frauen. Während bei Jungen mit dem Kraftfahrzeugmechatroniker, dem Elektroniker, dem Industriemechaniker und dem Fachinformatiker vier Berufe aus dem technischen Bereich kommen, dominieren bei Mädchen Ausbildungen im kaufmännischen und medizinischen Bereich (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung 2017a). Klassische Geschlechterrollen werden also auch über den Beruf reproduziert.

Ökonomische und berufliche Benachteiligung von Frauen

An die Geschlechtszugehörigkeit sind Zuschreibungen gebunden, die über Qualifikation und Leistung hinaus, für eine ungleiche Integration und Positionierung von Individuen im Berufssystem sorgen (vgl. Teubner 2010: 500). Dies wird durch die prekären Beschäftigungsbedingungen von Frauen verdeutlicht. Immer noch erhalten Frauen, trotz gleicher Qualifikation und im gleichen Beruf, eine geringere Entlohnung als ihre männlichen Kollegen und nach wie vor ist die Bezahlung in den von Männern dominierten Berufen höher als in den von Frauen dominierten Berufen (vgl. ebd.: 501). In Deutschland herrscht immer noch ein Lohn- und Gehaltsfälle zwischen den Geschlechtern von 20-25 % zu Lasten der Frauen (vgl. Beer 2010: 63). Darüber hinaus führen implizite Altersgrenzen, fehlende Aufstiegschancen und besondere Belastungen in frauendominierten Berufen zu prekären beruflichen und ökonomischen Verhältnissen von Frauen (vgl. Teubner 2010: 502).


Wenn weiblich dominierte Berufe mit ökonomischem Prekariat assoziiert werden, geht mit diesen Berufen eine niedrige Bewertung im Ansehen einher. In der Tat führt eine veränderte Geschlechterdominanz in einem Beruf zu einer Veränderung des gesellschaftlichen Status. Mit der Feminisierung von Arbeit geht, nach dem klassischen Muster, ein Ansehensverlust im Status-Gefüge der Berufe einher (vgl. Teubner 2010: 503). In Deutschland stehen die Berufe des Friseurs und des Grundschullehrers, die lange Zeit Männerberufe waren, exemplarisch für diesen Prozess. Diese Berufe sind überlagert von Querverweisen zu traditionellen Frauenaufgaben und -bereichen, beispielsweise der Ästhetik oder der Umgang mit Kindern (vgl. ebd.).

Frauen in Männerdomänen erfahren männlichen Widerstand

Agieren Frauen in männerdominierten Sphären, sei es im technischen Berufsbereich oder in der Musikindustrie, so werden sie zum Teil mit struktureller Diskriminierung der Männerdomäne konfrontiert, aber auch mit ablehnendem Verhalten der direkten männlichen Kollegen und Vorgesetzten. In der Tat ist es so, dass Frauen von männlichen Kollegen am Arbeitsplatz zunächst in ihrer Geschlechterrolle wahrgenommen werden, statt als kompetente und ebenbürtige Mitarbeiterin (Moschhäuser 1993: 74). Das zeigt, dass sich Frauen in von Männern geprägten Strukturen stets gegen die manifestierten traditionellen Rollenbilder der Gesellschaft behaupten müssen und gegen mögliche Zurückweisungen durch Andere, wenn sie mit diesen tradierten Rollenbildern brechen.


In der Tat lehnen Frauen in Männerdomänen traditionell weibliche Eigenschaften für sich eher ab. Sie beschreiben sich selbst als mutig, einsatzbereit, ehrgeizig, belastbar, dynamisch, arbeitsorientiert und entschlussfreudig (vgl. Pfannes 2004: 30). Der Grund für die Nennung dieser Eigenschaften kann zum einen an der Orientierung an männlichen Vorbildern und einem männlichen Habitus liegen (vgl. ebd.), zum anderen aber auch an der gezwungenen Anpassung an patriarchale Verhältnisse in der Männerdomäne. Andererseits zeichnen sich Frauen in männerdominierten Berufen unter anderem durch eine besondere Bescheidenheit aus. Auch wenn Frauen ihre Tätigkeiten genauso gut oder besser als ihre männlichen Kollegen ausführen, stellen sie sich oftmals selbst in Frage (Moschhäuser 1993: 71 f.).

Generell empfinden Frauen in männerdominierten Bereichen es als schwierig von ihren männlichen Kollegen in der eigenen Kompetenz anerkannt zu werden. Denn grundsätzlich stehen Frauen in einer Männerdomäne unter starker männlicher Beobachtung und müssen sich insgesamt mehr anstrengen als ihre männlichen Kollegen um die gleiche berufliche oder gesellschaftliche Anerkennung zu bekommen (vgl. Pfannes 2004: 31; Moschhäuser 1993: 24). Zusätzlich werden sie mit frauenfeindlichem Verhalten konfrontiert und traditionelle Milieusperren sowie soziale Zugangsbarrieren resultierend aus Vorurteilen gegenüber Frauen, lassen teils hohe psychische Belastungen entstehen (vgl. Moschhäuser 1993: 24). Dieser Zweifel an der Kompetenz von Frauen und die Vorurteile gegenüber ihrem Können, sind dort besonders stark, wo weibliche fachliche Arbeit noch nie erlebt und gesehen wurde (vgl. ebd.: 50).

Nehmen Frauen in männerdominierten Bereichen Machtpositionen ein, beispielsweise als berufliche Vorgesetzte, dann wird das tradierte Geschlechterrollenbild der passiven und zurückhaltenden Frau nochmal stärker durchbrochen. Da Vorurteile aus einer mangelnden Passung zwischen den Zuschreibungen an die klassische weibliche Geschlechterrolle und denen an Personen in Führungspositionen resultieren, tragen diese Vorurteile dazu bei, dass Frauen nur geringe Chancen haben, in Führungspositionen aufzusteigen (vgl. Eckes 2010: 186; Moschhäuser 1993: 132). Frauen erfahren aber auch besondere Erfolgserlebnisse und eine höhere Anerkennung von männlichen Kollegen wenn sie fachlich kompetent und adäquat gehandelt haben, gerade weil dann gewohnte Vorstellungen und Rollenbilder durchbrochen werden (vgl. Moschhäuser 1993: 51 f.).

Auch eine männlich geprägte Musikszene wirkt exkludierend

Auch die Musikszene ist nicht unbedingt ein Ort an dem Frauen willkommen sind oder mit dem sie sich direkt identifizieren können. Die gesellschaftlich traditionellen Geschlechterrollen werden auch in der Musikindustrie und der Vermarktung der geschlechtlichen Rollenbilder aufrecht gehalten. Frauen werden in Bezug auf den Konsum von Musik auf den Groupie- beziehungsweise Freundin-von-Status reduziert (vgl. Plesch 2013: 51) und sollen in der Produktion und audiovisuellen Darstellung von Musik in Musikvideos zuweilen eine zurückhaltend angepasste oder völlig sexualisierte Rolle einnehmen (vgl. ebd.: 53). Demnach haben Frauen entweder die Wahl zwischen positiver Diskriminierung oder Desinteresse von Männern. Auch Hip-Hop und neuere Popkulturen vermitteln Frauenbilder immer noch stark über die Wahrnehmung von Körperlichkeiten und physischer Attraktivität und stärken in der Vermarktung bestimmter Identitäten den als sexyness getarnten Sexismus (vgl. ebd.: 55). Körperwahrnehmung funktioniert immer noch viel zu sehr nach gängigen Schönheits- und Schlankheitsidealen, denen die meisten Frauen in der Realität nicht entsprechen (vgl. ebd.).

Integration gelingt durch Anpassung

Die Chance der Integration von Frauen in die Männerdomäne ist mit der Ausbildung eines konformen Habitus deutlich höher (vgl. Ihsen 2010: 801). Merken Frauen sie ecken in der Männerdomäne mit ihrem Verhalten an, dann entwickeln sie entweder individuelle Lösungsansätze sich in den kulturellen Habitus anzueignen, das bedeutet, dass sie die Schuld der fehlenden Akzeptanz auf sich persönlich beziehen, mit dieser Verinnerlichung des Problems aber auch sagen können, dass sie die Situation selbsttätig verändern können (vgl. ebd.). Oder sie verwenden strukturelle Erklärungsansätze, die darauf abzielen, die erfahrene Ausgrenzung mit dem Merkmal des 'Frau-Seins' zu erklären. Letzteres Vorgehen führt entweder zum Verlassen der männlich geprägten Kultur oder zu weiteren Anpassungsbemühungen an den vorherrschenden Habitus (vgl. ebd.: 802).


Allgemein steht fest, dass es für Individuen die in eine geschlossene Gruppe dazukommen, in der bereits zuvor ein eigener Habitus, eigene Sprach- und Handlungsgewohnheiten herausgebildet wurde, zunächst schwierig ist integriert zu werden und den Habitus anzunehmen. Bisherige Gruppennormen können bestehen bleiben oder sich sogar durch Abgrenzung gegen 'das Andere', in dem Fall 'die Frau' neu verfestigen (vgl. Moschhäuser 1993: 82 f.) Durch die entstehende Exklusivität wird die Gruppe durch die Gruppenmitglieder in ihrem Wert überhöht (vgl. ebd.). Genauso ist es mit der 'Andersartigkeit' Schwarzer Frauen und Männer und Schwarzer Kultur und Identität im Vergleich zur weißen europäischen Kultur. Durch Entfremdung und Ausschluss wird die Andersartigkeit der anderen Gruppe hervorgehoben und die eigene Gruppe bestärkt.

Fraglich ist allerdings, ob eine Anpassung an eine Gesellschaft oder einen gesellschaftlichen Teilbereich, in dem ausschließende und diskriminierende Machtverhältnisse vorherrschen, überhaupt wünschenswert sein kann. Vielmehr sollte analysiert werden, wie Mechanismen wirken die Diskriminierung, soziale Ungleichheit und Herrschaft von Menschen über andere Menschen hervorbringen und wie diese Mechanismen demontiert werden können.


4. Akua Naru – The World Is Listening: Identitätsbildung und Geschlechterrollen von Schwarzen Musikerinnen



 „They say no girls in the cipher, so I rock solo.“

Akua Naru beschreibt im Song „The World Is Listening“ ihre eigene musikalische Sozialisation durch weibliche Hip-Hop Künstlerinnen. Sie benennt die Schwierigkeiten des Aufstiegs in der männerdominierten Musik und fokussiert dabei den Erfolg Schwarzer Musikerinnen. Aufgrund dieser Thematik, werde ich nach einer historischen Analyse der Musik Schwarzer Frauen und dem Einfluss auf die heutigen musikalischen Identitäten Schwarzer Musikerinnen, das Motiv der intersektionellen Diskriminierung und das der Rollenvorbilder erläutern.

Blues-Sängerinnen als Pionierinnen für heutige Hip-Hop Künstlerinnen

Der Blues bildet die Basis für viele populäre Musik- und Stilrichtungen. Selbst der Hip-Hop ist von Elementen des Blues beeinflusst. Die berühmtesten Interpreten des Blues waren Frauen. Doch auch Blues-Größen wie Ma Rainey und Bessie Smith waren von gesellschaftlicher Marginalisierung, aufgrund ihres 'Frau-Seins' betroffen (vgl. Davis 1998: 4, 9) Blues ist Ausdruck eines kollektiven Gefühls und drückt die kollektiv erfahrenen neuen psychosozialen Realitäten unter der Schwarzen Bevölkerung aus (vgl. ebd.: 4 f.). Blues half dabei, nach Beendigung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten, ein neues Schwarzes Bewusstsein aufzubauen und zu reflektieren (vgl. Davis 1998: 6). In gewisser Weise kann Hip-Hop Schwarzen Musikern und Musikerinnen auch dazu verhelfen, die gegenwärtigen Lebensrealitäten zu verarbeiten und sich darin zurecht zu finden. Mit der Pluralisierung der Lebensstile bleibt die kollektive Komponente zwar fraglich, jedoch werden eindeutig historische kollektiv erfahrene Elemente innerhalb des heutigen Hip-Hop Schwarzer Künstler und Künstlerinnen verhandelt. Auch Angela Davis und Tricia Rose betonen, dass Musik insgesamt ein Ort sein kann, um das kollektive Bewusstsein Schwarzer Menschen und insbesondere Schwarzer Frauen und das musikalische Erbe zu untersuchen. Denn Musik, Politik und Identitätsbildung hängen zusammen (vgl. Plesch 2013: 132).


Die Musik Schwarzer Künstlerinnen hat schon im Blues eine oppositionelle Haltung zur hegemonialen Kultur der weißen amerikanischen Bevölkerung eingenommen. Die Repräsentation von Liebe und Sexualität im weiblichen Blues, stand der amerikanischen Mainstream-Annahme von Frauen und idealisierter romantischer Liebe entgegen (vgl. Davis 1998: 11). Blues-Sängerinnen forderten auch die Annahme heraus, Frauen gehörten in das häusliche Umfeld, denn diese Annahmen beruhten auf den Realitäten weißer Frauen aus der Mittelklasse, wurden aber unreflektiert und unpassend auf alle Frauen egal welcher 'race' und 'class' übertragen (vgl. ebd.).

Dann, Ende der 80er, stellten vermehrt Schwarze Musiker und Musikerinnen sowie Schwarze Produzenten und Produzentinnen die weiße Dominanz im Musikbusiness in Frage (vgl. Reitsamer 2006: 175 f.). Sie reflektierten die ihnen auferlegte 'Andersartigkeit' der Schwarzen Popkultur und delegitimierten damit die Grenzen der weißen Musikkultur (vgl. ebd.). Die männliche Hegemonie in der Musikindustrie wurde kritisiert und bislang unmarkierte und unbenannte Stereotype markiert. Schwarze Musikerinnen und Musiker traten so selbstbestimmt und offen in die Opposition der weißen Hegemonialkultur.

Intersektionelle Diskriminierung von Schwarzen weiblichen Musikerinnen

Obwohl die Schwarze Community amerikanischer Frauen und Männer das gleiche historische Schicksal teilt und sowohl Schwarze Frauen als auch Schwarze Männer Diskriminierungserfahrungen aufgrund der Hautfarbe machen, ist das Verhältnis innerhalb der Schwarzen Community nicht frei von Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Das Verhältnis nach innen ist hierarchisch strukturiert und wird oft von Gewalt an Schwarzen Frauen, ausgehend von Schwarzen Männern geprägt (vgl. Fichna 2006: 53). Schwarze Musikerinnen können ihre Identität nicht komplett in Opposition zu ihren männlichen Kollegen konstruieren, da sie durch den gemeinsamen historischen und rassistischen Kontext miteinander verbunden sind (vgl. ebd.).


Auch in der Musikindustrie kommen die Herrschaftsverhältnisse von Schwarzen Männern über Schwarze Frauen zum Tragen. So äußern sich zum Beispiel kaum Rapperinnen zu den sexistischen Texten Schwarzer Rapper (vgl. ebd.). Sie befürchten nämlich, von den Medien instrumentalisiert zu werden, indem sie ihre männlichen Kollegen des Sexismus beschuldigen und so statt allgemein auf Sexismus aufmerksam zu machen, dazu beizutragen das Bild des Schwarzen Mannes in negative Vorstellungen zu rücken (vgl. Fichna 2006: 53). Schwarze Künstlerinnen zeigen sich in ihren Texten zwar männlichem Begehren gegenüber gehorsam, drücken aber auch eigene Begehren aus und weigern sich, sich physisch und psychisch fertig machen zu lassen (vgl. Plesch 2013: 128). Songs waren demnach Abbildung der ökonomischen und patriarchalen Verhältnisse. Jedoch war es schwierig für Schwarze Frauen, Themen wie Missbrauch und Vergewaltigung innerhalb der eigenen Community anzusprechen (vgl. hooks 1992: 79 ff). Zum einen wird ihnen dann der Verrat an den eigenen Leuten zugesprochen, zum anderen müssen sich Schwarze Frauen einem rassistischen Rechtssprechungssystem stellen, welches die weiß dominierte Gesellschaft repräsentiert und deren Interesse, Schwarze Männer als sexistisch darzustellen (vgl. hooks 1992: 81; Plesch 2013: 129). Schwarze Hip-Hop Künstlerinnen müssen sich also gegen mehrere ineinander verwobene Herrschaftsverhältnisse behaupten. Patriarchale Machtverhältnisse und Sexismus innerhalb der eigenen Community und Rassismus sowie die konstruierte 'Andersartigkeit' der westlichen weißen Welt (vgl. Fichna 2006: 53). Schwarze Frauen sind daher in vielen Lebensbereichen von intersektioneller Diskriminierung betroffen. Häufig wird statt der Analyse der gegenseitigen Wechselwirkungen von Kategorien wie 'gender' und 'race' versucht, die Diskriminierungen als additive Verknüpfungen zu analysieren. Gegen ein solches Konzept der Addition von Unterdrückung wird von Schwarzen Feministinnen das Konzept der 'intersections' verwendet (Carstensen/Groß 2006: 25 f.). Er umfasst Verschränkungen verschiedener Diskriminierungskategorien und betont die dadurch entstehenden Wechselwirkungen

Popidentitäten und reale Identitäten

Musikalische Identitäten im Hip-Hop sind das Ergebnis eines dialogischen Prozesses. Der Prozess besteht aus der Wechselwirkung historischer und gesellschaftlicher Prozesse und den Künstlern und Künstlerinnen die diese aufgreifen (vgl. Fichna 2006: 56). Während innerhalb des Dialogs Fragen über Machtverhältnisse und Körperlichkeit ausgehandelt werden, geht es in den künstlerischen Ergebnissen meist darum, Opposition zu erzeugen und die Verbindung zwischen Hip-Hop und sozialer Realität aufzuzeigen (vgl. ebd. 46).


Eine bedeutende Rolle bei der Identitätsbildung Schwarzer Frauen und Musikerinnen spielt die Sexualität. Die Sexualität Schwarzer Frauen wurde und wird in gesellschaftlich verzerrten Bildern dargestellt. Schwarze Frauen entsprachen einem Bild von meist pathologisierter Sexualität, sie wurden übersexualisiert oder entsexualisiert, jedoch stets als abweichend von der Norm konstruiert (vgl. Fichna 2006: 49). Die sexualisierte Konstruktion von Schwarzer weiblicher Sexualität und die Geschichte Schwarzer Musikerinnen, geprägt von rassistischen und sexistischen Verletzungen, sind ein wesentlicher Bestandteil der Subjektpositionen heutiger Schwarzer Hip-Hop Künstlerinnen. (vgl. ebd.: 50). Allgemein prägt die Rezeptionsform Schwarzer Körperlichkeiten im weißen europäischen oder amerikanischen Diskurs die Identitätsentwürfe von Hip-Hop Musikerinnen (vgl. ebd.: 45f.).

Von der 'Diva' zur 'Bitch'

Sexualität ist nach wie vor der Gradmesser zur sozialen Positionierung junger Frauen und Sängerinnen (vgl. Baldauf 2006: 72). Schwarze Musikerinnen zu Beginn und in der Mitte des 20. Jahrhunderts mussten jedoch weitaus stärkeren sexistischen Einstellungen standhalten als Schwarze Musikerinnen heute. Um dem Druck des Umfelds und der Musikindustrie sowie dem Rassismus und Sexismus Stand zu halten, kreierten weibliche Musikerinnen, wie Josephine Baker oder Billie Holiday, die Rolle der glamourösen, selbstzerstörerischen und ausdrucksstarken 'Diva' (vgl. Fichna 2006: 51). Heute richten weibliche Schwarze Musikerinnen ihr Selbstverständnis als Popstars an ähnlichen divenhaften Merkmalen aus, jedoch mit mehr Selbstbestimmtheit. Musikerinnen definieren die Diskurse um Schwarze Körperlichkeit und Kultur neu und nutzen sie zum eigenen Vorteil oder zur eigenen Ermächtigung. Sie formulieren ihr Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die eigene Sexualität, fordern Selbstrespekt und Respekt von Männern (vgl. ebd.). Aus 'Divas' werden 'Bitches'.


Die 'HipHop-Bitch', als Hypersexualisierte, als Sprachrohr weiblicher Schwarzer Positionen, als die 'Bitch in Power' oder die der Diva ähnelnde, ist nur eine von vielen Subjektpositionen, die die Lebensverhältnisse Schwarzer Musikerinnen zulassen (vgl.Fichna 2006: 54). Zwar bleibt der Begriff der Bitch wegen seiner sexuell negativen Konnotation fragwürdig, jegliche Kritik an der Verwendung des Begriffs sollte jedoch in dem Bewusstsein formuliert sein, dass 'Bitch' eine Bezeichnung ist, welche sich die Musikerinnen selbst geben um eben genau die herrschenden männlichen und sexistischen Diskurse umzudeuten, die Begriffe aus dem gewaltförmigen Bedeutungskontext herauszulösen und zur Bezeichnung der eigenen Gruppe positiv zu nutzen (vgl. Zeisler 2017; Fichna 2006: 52; Carstensen/Groß 2006: 24).

Fehlende Role-Models lähmen den theoretischen Diskurs und die Praxis

Musikalische Sozialisation und Rezeption wird bei Mädchen und Jungen gesellschaftlich unterschiedlich präsentiert. Während bei Jungen musikalische Inhalte und Technik im Vordergrund stehen, werden Mädchen als Konsumentinnen von Musik, auf das Fan-Sein reduziert und mit pubertären Schwärmereien verbunden (vgl. Plesch 2013: 49). Das Fehlen von Rollenvorbildern in der Musikindustrie macht den Einstieg für Frauen zusätzlich schwer und lässt Frauen in der Musikszene als anormal erscheinen (vgl. ebd.: 52). Daneben lähmt das Fehlen von Frauen auch den Diskurs um hegemoniale Männlichkeiten und Geschlechterstereotype in der Musik und im Hip-Hop. Relevante Bücher oder Studien die den Diskurs antreiben könnten, werden nicht übersetzt oder gar nicht erst geschrieben beziehungsweise nicht unternommen (vgl. ebd.). Heranwachsende lernen durch Imitation und Identifikation sowie durch Bekräftigung und Verstärkung durch Rollenvorbilder (vgl. Pfannes 2004: 15).


Ein hoher Grad an Identität und Integration ist für Frauen in Männerdomänen das entscheidende Element, sich langfristig und erfolgreich an den Beruf zu binden (vgl. Ihsen 2010: 800). Identifikation und Integration passieren jedoch oft nur bruchstückhaft und über einen langen Zeitraum hinweg (vgl. ebd.: 802). Zwischen dem gewünschten Habitus, den tradierten Strukturen der Männerdomäne und der geschlechtsspezifischen Rollenzuweisung an die Frau, gibt es widersprüchliche Anforderungen, die dazu führen, dass Frauen in Männerdomänen Rollenkonflikte und Verunsicherung erleben (vgl. Ebd.: 801).

Erst wenn sich die Integration von Frauen in männerdominierte Sphären positiv gestaltet, können sie als Rollenvorbilder für andere Frauen dienen und vermitteln, dass sich die Tätigkeit in beispielsweise frauenuntypischen Berufen wie im Elektro- oder Metallbereich oder im Hip-Hop, beziehungsweise allgemein in der Musikindustrie lohnt. Es fehlen noch viele Rollenvorbilder für Frauen in männerdominierten Lebens- und Arbeitsbereichen. Doch sie sind wichtig, denn sie haben in ihrer Vorbildfunktion eine Schlüsselrolle für nachfolgende Frauen (vgl. Moschhäuser 1993: 54).


5. Was wir tun können

Zwar treten soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern aufgrund patriarchalischer Verhältnisse häufig nicht mehr offen zu Tage, jedoch sind sie immer noch beinahe durchgängig in allen gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsbereichen festzustellen. Oftmals als kapitalistische Verhältnisse chiffriert (vgl. Beer 2010: 64) oder von rassistischen oder sexistischen Herrschaftsstrukturen überlagert, gilt es die Mechanismen zu entschlüsseln, welche grundlegend für soziale Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen sind.


Obwohl klare traditionelle Frauen- und Männerbilder verschwimmen und klassische Geschlechterrollen zunehmend in Frage gestellt werden (vgl. Plesch 2013: 67), werden Machtungleichheiten nicht ausgeglichen. Frauen haben im internationalen Vergleich immer noch primär Verantwortung für Haushalt und Kindererziehung, selbst wenn beide Partner gleichermaßen berufstätig sind. Auch diese Familienrollen gilt es aufzubrechen. Auch die scheinbar positiven Aspekte paternalistischer Geschlechterstereotype leisten hier auf subtile Weise einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Status- und Machtdifferenzen, welche genau dieses Geschlechterverhältnis prägen. Auch solche scheinbar positiven Stereotype gilt es zu enttarnen (vgl. Eckes 2010: 186).

Was also tun? Weg vom Denken in Kategorien und hin zu den Bedürfnissen des Individuums. Es gilt den westlichen, weißen, wissenschaftlichen und politischen Blicken individuelle Subjektpositionen sowie komplexe heterogene Gesellschaften entgegenzustellen. Durch die Analyse des wie die Gesellschaft so geworden ist und durch das Mitdenken des eigenen (weißen, privilegierten) Standpunktes soll versucht werden, die hegemonialen machtvollen Prozesse zu durchbrechen (vgl. Carstensen/Groß 2006: 28).

Auch in Bezug auf die gegenwärtige und noch fortschreitende Reorganisation von Lohnarbeit und Berufsstrukturen, sowie im Hinblick auf den demographischen Wandel, gilt es den Diskurs um ungleiche männliche und weibliche Machtverhältnisse zu beobachten. Denn mit der Entwicklung neuer flexibler Arbeitsverhältnisse, einer flexiblen Arbeitsorganisation von Zeit und Ort und der stärker werdenden Subjektivierung und auch Entgrenzung von Arbeit, stellt sich die Frage, wie sich im beruflichen Bereich Prozesse zugunsten von Frauen entwickeln oder ob sich erneut Schließungsprozesse von Berufen gegenüber weiblichen Beschäftigten vollziehen (vgl. Teubner 2010: 504). Um letzteres zu verhindern gilt es zum einen, betriebliche Interessenvertretungen von Beschäftigten für Fragen des sozialen Umgangs im Berufsbereich zu sensibilisieren. Zum anderen geht es darum, dass Frauen weiterhin ihre Rolle als aktive gesellschaftliche Akteurinnen wahrnehmen, auf historischen Erfolgen aufbauen und trotz wirkender Diskriminierungsmechanismen versuchen, diese zu enttarnen.

-
 
Literaturverzeichnis

Becker-Schmidt, Regina (2010): Doppelte Vergesellschaftung von Frauen: Divergenzen und Brückenschläge zwischen Privat- und Erwerbsleben. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, 3. erw. und durchges. Auflage, Wiesbaden: VS, S. 65-74.


Beer, Ursula (2010): Sekundärpatriarchalismus: Patriarchat in Industriegesellschaften. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, 3. erw. und durchges. Auflage, Wiesbaden: VS, S. 59-64.

Carstensen, Tanja/Groß, Melanie (2006): Feminismen: Strömungen, Widersprüche und Herausforderungen. In: FAU-MAT (Hg.): Gender und Arbeit: Geschlechterverhältnisse im Kapitalismus, Lich/Hamburg: Edition AV/FAU-MAT, S. 11-32.

Cyba, Eva (2010): Patriarchat: Wandel und Aktualität. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, 3. erw. und durchges. Auflage, Wiesbaden: VS-Verlag, S. 17-22.

Davis, Angela (1998): I Used To Be Your Sweet Mama. Ideology, Sexuality and Domestic. In: Davis, Angela (Hg.): Blues Legacys And Black Feminism. Gertude Ma Rainey, Bessie Smith, and Billie Holiday, New York, S. 1-14.

Eckes, Thomas (2010): Geschlechterstereotype: Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, 3. erw. und durchges. Auflage, Wiesbaden: VS-Verlag, S. 178-189.

Fichna, Wolfgang (2006): „I wanne be like a female Quincy Jones!“ Zur Konstruktion von Subjektpositionen afroamerikanischer Hip-Hop Musikerinnen. In: Reitsamer, Rosa/Weinzierl, Rupert (Hg.): Female Consequences. Feminismus, Antirassismus, Popmusik, Wien: Löcker, S. 45-58.

Frankfurter Allgemeine Zeitung (2017a): Was junge Menschen werden wollen. http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/die-beliebtesten-ausbildungsberufe-15175303.html [Online im Internet: 27.09.2017].

Frankfurter Allgemeine Zeitung (2017b): Frauen versteckt euch! http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/beruf/gleichberechtigung-dominanz-der-vorurteile-kaum-zu-umgehen-15170231-p4.html [Online im Internet: 27.09.2017].

Frankfurter Allgemeine Zeitung (2017c): Elternschaft drängt Frauen immer noch in unbezahlte Arbeit. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/gehalt-elternschaft-draengt-frauen-in-unbezahlte-taetigkeiten-15172012.html [Online im Internet: 27.09.2017].

Gildemeister, Regine (2010): Doing Gender: Soziale Praktiken der Geschlechterunterscheidung. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, 3. erw. und durchges. Auflage, Wiesbaden: VS-Verlag, S. 137-145.

hooks, bell (1992): Black Looks. Race and Representation, Boston: South End Press.

Ihsen, Susanne (2010): Ingenieurinnen: Frauen in einer Männerdomäne. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, 3. erw. und durchges. Auflage, Wiesbaden: VS-Verlag, S. 799-807.

Küchenhoff, Erich (Hg.) (1975): Die Darstellung der Frau und die Behandlung von Frauenfragen im Fernsehen. Eine empirische Untersuchung einer Forschungsgruppe der Universität Münster unter Leitung von Erich Küchenhoff, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz: Kohlhammer.

Nacken, Wolfgang N. (2006): Nieder mit dem Männlichkeitswahn. Oder: Was Männlichkeit sein soll, ist und werden könnte. In: FAU-MAT (Hg.): Gender und Arbeit. Geschlechterverhältnisse im Kapitalismus, Lich/Hamburg: Edition AV/FAU-MAT, S. 33-38.

Moschhäuser, Martina (1993): Frauen in Männerdomänen. Wege zur Integration von Facharbeiterinnen im Betrieb, Köln: Bund-Verlag GmbH.

Pfannes, Petra (2004): 'Powerfrau', 'Quotenfrau', 'Ausnahmefrau'...? Die Darstellung von Politikerinnen in der deutschen Tagespresse, Marburg: Tectum.

Plesch, Tine (2013): Rebel Girl. Popkultur und Feminismus. Mainz: Ventil.

Reitsamer, Rosa (2006): Walk on the white side. Weiße maskuline Normativität in der Popkultur. In: Reitsamer, Rosa/Weinzierl, Rupert (Hg.): Female Consequences. Feminismus Antirassismus Popmusik, Wien: Löcker Verlag, S. 169-180.

Spiegel Online: Erste Solo-Rapperin seit 1998 auf Platz eins der US-Charts. http://www.spiegel.de/kultur/musik/cardi-b-erste-solo-rapperin-auf-platz-1-der-us-charts-seit-1998-a-1170097.html [Online im Internet: 27.09.2017].

Teubner, Ulrike: Beruf: Vom Traumberuf zur Geschlechterkonstruktion im Berufssystem. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch für Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, 3. erw. und durchges. Auflage, Wiesbaden: VS, S. 499-506.

Weiderer, Monika (1993): Das Frauen- und Männerbild im deutschen Fernsehen: eine inhaltsanalytische Untersuchung der Programme ARD, ZDF und RTL plus, Regensburg: Roderer.

-
 
[1] Im Bewusstsein, dass die Kategorien 'Frau' und 'Mann' eine exkludierende Wirkung haben und Individuen mit einer homo-, trans- oder intersexuellen Lebensweise aufgrund der möglichen Nichtidentifikation mit diesen Kategorien ausgeschlossen werden können, verwende ich diese Kategorien, aufgrund fehlender sprachlicher Diversität in der vorhandenen Literatur und weil ich den Fokus auf Cisgender-Frauen und Cisgender-Männer legen möchte, dennoch.

 -

Zitiervorschlag: Julia Avril, "Frauen in Männerdomänen. Musik als männerdominierte Sphäre und Identitätsbildung von Frauen im Hip-Hop", online unter: https://beyonce-seminar.blogspot.com/2017/11/frauen-in-mannerdomanen.html

Kommentare