Möglichkeiten und Grenzen des Popfeminismus

von Johanna Krompos

1. „Feminism got cool“

Unter einem Foto, das Beyoncé Knowles mit Krone und königlichem Schmuck zeigt, feiert Elizabeth Plank in ihrem Artikel „28 Most Iconic Feminist Moments of 2013“ die feministischen Errungenschaften des vergangenen Jahres. Darunter unter Anderem Gloria Steinems Auszeichnung mit der Presidential Medal of Freedom, die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Marissa Alexander und Malala Yousafzis Rede vor den Vereinten Nationen. Plank beklagt, dass das TIME magazine einen Fehler gemacht habe, als es sich gegen die Auszeichnung der damals 16-Jährigen Yousafzi als „Person of the Year“ entschieden habe; in ihren Augen sei sie es definitiv gewesen. Und doch regiert Queen B. über den Artikel. Immerhin hat sie sich im vergangenen Jahr als Feministin geoutet und als krönenden Abschluss des Jahres sogar noch ein neues Album veröffentlicht („the fastest selling in ITunes‘ history“). (Plank 2013)







Im Frühjahr 2014 veröffentlicht Charlotte Alter einen Artikel mit dem Titel „The TIME 100 Music Stars Prove This Was the Year of Pop Feminism”. Hauptverantwortlich dafür: Beyoncé Knowles – und mit ihr Miley Cyrus und Pharell Williams. Indem sie „women’s empowerment“ aktiv in Liedern, Videos und Interviews promotet hätten, hätten die Musiker Feminismus zu einem ausdrücklichen Teil ihres öffentlichen Images gemacht. Alter differenziert zwischen den einzelnen Wirkungen der 2014 erschienenen Alben der drei Künstler und weist insbesondere im Vergleich der beiden Sängerinnen auf Unterschiede in der Interpretation des Feminismus-Begriffs hin. Beyoncés Musikvideos des aktuellen Albums „Beyoncé“ beschreibt die Autorin als „overtly feminist“, Intention und Wirkung der visuellen Umsetzung von Cyrus‘ Album „Bangerz“ hingegen seien wesentlich ambivalenter. Alter bezieht sich bei dieser Einschätzung unter anderem auf einen öffentlichen Brief der Sängerin Sinéad O‘Connor (als Antwort auf Cyrus Aussage, sich bei ihrem Musikvideo zu „Wrecking Ball“ vom Video zu „Nothing compares to you“ inspiriert haben zu lassen) und vielseitige Kritik an Cyrus‘ Aneignung und Darstellung Schwarzer Musik- und Tanzstile. (Alter 2014)

Ende 2016 wird auf dem Blog der feministischen Zeitschrift „Ms.“ ein Artikel mit dem Titel „The Top 10 Feminist Moments in Pop Culture from 2016“ veröffentlicht. Darin heißt es:

Indeed, 2016 was so feminist in its memes, shows, music, and other cultural moments that some have argued this political momentum created the backlash that led to Donald Trump’s election to the presidency of the United States.

Auf dem ersten Platz: Beyoncé! Jede(r) einzelne ihrer Auftritte und Performances sei mit „deep political purpose“ aufgeladen gewesen, schwärmt die Autorin Janell Hobson. Angefangen bei der Thematisierung von post-Katrina New Orleans und „#BlackLivesMatter“ im Musikvideo zum Lied „Formation“ bis hin zu ihrer wohl „bravest feminist expression“ in Form ihrer Unterstützung der Aktion „Pantsuit Nation“[1] mit einem Auftritt auf einer von ihrem Ehemann Jay-Z organisierten „Hillary Clinton Rally“. (Hobson 2016)
Beyoncés Einfluss auf die Präsenz von Feminismus in der heutigen Popkultur ist einzigartig. Spätestens seit sie 2013 die Definition eines/r Feministen/In ihren Song Flawless eingebunden und das Wort „Feminist“ in pinken Lettern Teil ihrer Bühnenshow wurde, haftet das Wort an ihr wie der Titel „Queen Bey“.
„Beyoncé staking her claim to feminism was the start of a media domino effect.”, schreibt Andi Zeisler in ihrem Buch “We were feminists, once”. “Bathed in spotlights, the biggest pop star in the world rocked the once-maligned label like a curve-hugging Met Gala dress”. Die Folge: “feminism got cool” (Zeisler 2016, S.X). Von SchauspielerInnen, SängerInnen und DesignerInnen bis hin zu Kosmetik- und Elektronikmarken, Zeitschriften und Zeitungen – scheinbar über Nacht, so Zeisler, habe der Feminismus sein eingestaubtes Image der letzten Jahre abgestreift und sei nun „ a thing“ geworden. (Zeisler 2016, S.XII)
“You could even say that feminism is to 2014 pop stars what sex was to 1964 rockers: it's nothing new, but it's suddenly become electrifying.”, formuliert es Charlotte Alter. (2014)
Und tatsächlich konnte man in den letzten Jahren leicht den Eindruck gewinnen, dass feministischer Anspruch neben Sound und Stimme zu einem wichtigen Bewertungs- und Marketing-kriterium von Popmusik (insbesondere von weiblichen Interpretinnen) geworden ist. Zum Teil so sehr, dass sich manch einer vielleicht wie Vice-Autorin Emma Garland die Frage stellte: Do songs by female Pop Stars always need to have a feminist message? (Garland 2015)
Und wenn ja: Ist diese message intendiert durch die Interpretinnen oder entsteht sie vor allem durch die Rezeption der Konsumenten?
Mein Mixtape besteht aus 4 Popsongs und den dazugehörigen Musikvideos, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden und in den (sozialen) Medien vielfältig hinsichtlich ihres feministischen Gehalts diskutiert und analysiert worden sind. Neben „Formation“ von Beyoncé und „We can’t stop“ von Miley Cyrus habe ich mich für „Anaconda“ von Nicki Minaj und „It’s hard out here“ von Lily Allen entschieden. In Bezugnahme auf die Lieder und ihre Interpretinnen ist mein Ziel, einen Einblick in die Vielfältigkeit des Labels „Feministin“ zu geben, wobei ich insbesondere auf die Unterschiede zwischen „White“ und „Black Feminism“ in der Popmusik eingehen möchte. In Hinblick auf Intention und Rezeption der Lieder werde ich abschließend aufzeigen, worin sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen von „Popfeminismus“ bestehen können. Bei der Songauswahl handelt es sich ausschließlich um englischsprachige Lieder von hauptsächlich US-amerikanischen Sängerinnen. Ich bin mir daher bewusst, dass das Bild, was ich in der vorliegenden Arbeit zeichnen werde, durchaus begrenzt ist, da bestimmte Zielgruppen von vornherein ausgeschlossen werden und die Sekundärliteratur zum Großteil aus dem englischen, vornehmlich US-amerikanischen, Raum stammt. Nichts desto trotz handelt es sich bei den Künstlerinnen um Weltstars mit einem großen Einflussgebiet (Beyoncé und Nicki Minaj werden international von Fans als Queens bezeichnet), wodurch die Relevanz dennoch gegeben ist.


2. Einordnung der Künstlerinnen in den feministischen Diskurs

Neben Interviews, in denen die feministische Einstellung der Sängerinnen hinterfragt wird, existieren eine Vielzahl von (Online-)Artikeln, die sich mit der Einordnung ihrer Personen in den feministischen Diskurs befassen. Bei der Debatte über Angemessenheit von Selbst- und Fremdbezeichnung als Feministinnen stechen drei Hauptkritikpunkte hervor: Die Darstellung des weiblichen Körpers und weiblicher Sexualität (bei Miley Cyrus zusätzlich verbunden mit dem Vorwurf der kulturellen Aneignung, bei Lily Allen gekoppelt an den Vorwurf rassistischer Darstellung) und die Kommerzialisierung und Vermarktung der feministischen Bewegung.

2.1 Auslegung des Feminismusbegriffs

Am nachhaltigsten hat sich eindeutig Beyoncé zum Thema Feminismus geäußert, insbesondere in 2013 und 2016 geführten Interviews mit den Zeitschriften Vogue und Elle. Beide Male hinterfragte sie den Effekt, den eine öffentliche Bezeichnung (Labeling) als Feministin mit sich bringe, da die wahre Bedeutung des Labels ihrer Meinung nach oft verkannt werde. So würden oft bestimmte Erwartungen an eine Feministin gestellt, deren Nichteinhaltung dann zu Enttäuschung oder Verärgerung führe ("I'm just a woman and I love being a woman. If you're attractive then you can't be sexy, and you can't be intelligent? What is all of that?" (Ellison 2013). Auch könne der Eindruck der Priorisierung bestimmter Ziele  entstehen (“I don't want calling myself a feminist to make it feel like that's my one priority, over racism or sexism or anything else.” (Team Elle 2016). Sich der oft extremen Auslegung des Begriffs bewusst, bezeichnet sie sich 2013 etwas zurückhaltend als „modern-day feminist“. 2016 setzt sie sich dann aktiv mit dem Label auseinander. Ihr Song „Flawless“ beinhaltet Ausschnitte aus Chimamanda Ngozi Adichies‘ Rede „We should all be feminists“ (inklusive einer Lexikon-Definition des Wortes „feminist“); während ihrer Mrs. Carter-Tour wird das Wort in pinken Lettern auf die Bühnen großer Stadien gebracht. Darauf angesprochen erwidert sie:

I put the definition of feminist in my song ["Flawless"] and on my tour, not for propaganda or to proclaim to the world that I'm a feminist, but to give clarity to the true meaning. I'm not really sure people know or understand what a feminist is, but it's very simple. It's someone who believes in equal rights for men and women. I don't understand the negative connotation of the word, or why it should exclude the opposite sex. (Knowles-Carter 2016)

Auf die Frage nach Vereinbarkeit von Feminismus und Feminität, entgegnet die Sängerin, dass die Entscheidung, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu kleiden und zurechtzumachen nichts mit dem Kampf für Gleichberechtigung von Mann und Frau zu tun habe. Frauen sollten sich im gleichen Maße ausdrücken können wie Männer, sowohl in Bezug auf das äußere Entscheidungsbild als auch in Bezug auf die Artikulierung von Gefühlen, Sexualität und Meinung. (Team Elle 2016)
Weniger bescheiden als Beyoncé äußerte sich Miley Cyrus zum Thema Feminismus in einem BBC-Interview als sie auf den Vorwurf angesprochen wird, Frauen in ihren Auftritten zu unterminieren: „I feel like I’m one of the biggest feminists […] in the world cause I tell women to not be scared of anything”. Doch auch sie spricht sich gegen die Reduzierung auf den Kampf für nur eine bestimmte Gruppe aus. So fügt sie später hinzu: „It’s not even that I’m a feminist. I’m for anybody, for everybody, for anything.” (Butterly 2013)
Nicki Minaj sieht davon ab, sich selbst als Feministin zu bezeichnen. Es gebe Dinge, die sie tue, die Feministinnen gut fänden und andere Dinge, die sie nicht mögen würden, erzählt sie 2015 in einem Vogue-Interview. Statt sich einem Label unterzuordnen, sage sie einfach ehrlich, was sie empfinde. Sie sieht sich selbst als eine Frau, die will, dass andere Frauen stark sind, denn Frauen könnten alles schaffen, wovon sie träumen. (Frank 2015)
Auch Lily Allen findet das Wort “Feminismus” problematisch. In einem Interview mit dem Magazin „Shortlist“ äußert sie ihre Assoziationen zum Begriff: “Feminism. I hate that word because it shouldn’t even be a thing anymore […] We’re all equal, everyone is equal. Why is there even a conversation about feminism?”. „I don’t think men are the enemy. I think women are the enemy“, wird sie weiter zitiert und bezieht sich dabei auf die Be- und Verurteilung von Frauen durch andere Frauen. Sie scheint damit auf das weitverbreitete Klischee anzuspielen, dass es sich bei Feminismus um eine männerfeindliche Bewegung handele. (Shortlist 2014) Allen wird daraufhin vielfältig kritisiert. In einem weiteren Interview erklärt sie, falsch wiedergegeben worden zu sein. Natürlich sei sie Feministin. Im Jahre 2014 gebe es noch immer keine Gleichheit. Darüber ist sei sie enttäuscht und gerade deswegen sei Feminismus wichtig. Sie sei sich ihrer Vorbildfunktion bewusst, Themen wie Feminismus anzusprechen sieht sie als ihre Aufgabe an. In ihren elf Jahren im Musikgeschäft habe sie mehr als genug Sexismus erfahren, da es viel zu wenig Frauen in Führungspositionen gebe. Eine Idee sei es daher, Frauenquoten in der Musikindustrie einzuführen. (Wilkinson 2014)


3. Kritik an der Präsentation weiblicher Körper und weiblicher Sexualität

Alle vier Sängerinnen sind für die Inszenierung des eigenen Körpers und der Körper der in ihren Musikvideos auftretenden Frauen gleichermaßen gefeiert und kritisiert worden. So warf bell hooks Beyoncés Visual Album „Lemonade“ vor, es sei „all about the body, and the body as commodity”. Seit der Sklaverei seien Schwarze weibliche Körper verkauft und gekauft geworden. Auch wenn die Kommodifizierung in „Lemonade“ unter einer anderen Absicht geschehe („to seduce, celebrate, and delight—to challenge the ongoing present day devaluation and dehumanization of the black female body“) handele es sich dabei um keinen radikalen oder revolutionären Akt. (bell hooks 2016) LaSha hingegen weist darauf hin, dass in einer kapitalistischen Gesellschaft jeder Körper gewissermaßen kommodifiziert sei und dass eine Frau weder auf die Zweckmäßigkeit ihres Körpers „in exciting and enticing the carnal senses“, noch auf ihre Fähigkeit, ihren Körper für selbigen Effekt einzusetzen, reduziert werden sollte. Darüber hinaus geht sie auf die historische Entwicklung der Ausbeutung Schwarzer Frauenkörper ein und erkennt in Hinblick auf die Wirkung der im Rahmen des Albums produzierten Bilder eine Form von Empowerment Schwarzer Frauen . (LaSha 2016)
 Sinéad O’Connor unterstellte Miley Cyrus, ihren eigenen Körper für die Musikindustrie zu verkaufen. Kyra D. Gaunt kritisierte darüber hinaus Cyrus‘ Gebrauch des, als “Bounce” in New Orleans bekannt gewordenen, Schwarzen Tanzstils „Twerking“ zur Neuerschaffung ihres öffentlichen Images und die den Schwarzen Tänzerinnen im Video zugedachte Rolle, nämlich Cyrus “props zu geben, während „Miley shakes her butt and pops her new identity associated with a gendered musical blackness to the top of the charts“. (Gaunt 2015, S.256) Bonnie Fuller, Herausgeberin der Internetzeitschrift „HollywoodLife“, hingegen bewunderte Cyrus für ihr sexuelles Selbstbewusstsein und meinte in „We can’t stop“ die Zelebrierung von sexueller Befreiung zu erkennen. (Fuller 2013)
In Reaktion auf das Cover des Songs „Anaconda“, das Nicki Minaj hockend von hinten in Büstenhalter und String zeigt, schrieb Chuck Creekmur, Inhaber von AllHipHop.com, einen öffentlichen Brief an die Sängerin, in dem er sie auf ihre Vorbildfunktion anspricht: „How will boys, already conditioned to sexualize girls at a young age, internalize this big booty of yours?“. (Creekmur 2014) Statt in der Inszenierung ihres Hinterns die Akzeptanz der Objektivierung bzw. eine Selbst-Objektivierung zu vermuten, wiesen andere Kritiker auf das Sample des Liedes „Baby got back“ des Rappers Sir Mix-a-lot („My Anaconda don’t want none unless you got buns hun‘“) hin, welches den Refrain des Liedes bildet. Nicki Minaj trete durch die Aneignung und Neuinterpretation des Lied- und Videoinhaltes aus der Position des Objekts, in welche „Baby got back“ den Schwarzen weiblichen Körper gestellt hätte, hinaus und hinein in die des Subjekts, indem sie Kontrolle über ihren eigenen Körper verdeutliche und ihn bewusst in Szene setzte. (Vigdermann 2015, Akpotowoh 2015, Kagan 2015).
Lily Allen ist im Musikvideo zu „It’s hard out here“ mit hauptsächlich Schwarzen Tänzerinnen in Unterwäsche zu sehen, während sie selbst komplett bekleidet ist. Was von den einen als Parodie auf das Showgeschäft verstanden wird, löste bei anderen entsetze Reaktionen hinsichtlich der unterschiedlichen Darstellung von weißen und Schwarzen Frauenkörpern aus.  Aufgrund der Verknüpfung von Sätzen wie „I don’t need to shake my ass for you cause I got a brain“ mit twerkenden Schwarzen Frauen wurde Allen vorgeworfen „Anti-Black Feminism“ zu propagieren. (Sidiqqi 2013)

Die Kritik an der Präsentation des jeweils eigenen Körpers der Sängerinnen bezieht sich vor allem auf die Kleidung, die sie in Musikvideos und während öffentlichen Performances tragen und die Art und Weise, wie sie sich bewegen bzw. tanzen und welchen Einfluss dies wiederrum auf die Konsumenten ihrer Werke hat. Hinzu kommt die Frage nach der Intention hinter der spezifischen Darstellung andere Frauenkörper in den Musikvideos.
 O’Connor und Hooks stellen zudem in Frage, inwiefern sich Miley Cyrus bzw. Beyoncé frei entscheiden können, ihre Körper auf bestimmte Art und Weise zu präsentieren. Sowohl Sinéad O‘ Connor als auch Chuck Creekmur formulieren ihre Kritik unter dem Deckmantel der elterlichen Fürsorge („Dear Nicki Minaj: An Open Letter From A Father“, „And it is said in the spirit of motherliness and with love.“). Es stellt sich daher die Frage, welche Wirkung die Werke insbesondere auf Heranwachsende haben.

Während der New School discussion “Are You Still A Slave: Liberating the Black Female Body” im Jahr 2014 vertrat bell hooks unter anderem die Meinung, dass Beyoncé nur sehr wenig Kontrolle über ihr Abbildung in Unterwäsche auf dem Cover des TIME magazines gehabt hätte. Auf Janett Mocks Einwand, Beyoncé habe das Styling für das Shooting vermutlich lange Zeit mit ihrem Stylisten geplant und sich bewusst für das Foto entschieden, erwidert hooks, dass das hieße, Beyoncé habe selbst dazu beigetragen, sich selbst als „slave“ zu konstruieren. Es sei nicht möglich die “imperialist, white supremacist, capitalist patriarchy” zu zerstören, indem man eine eigene Version davon erschaffe. (The New School 2014) Beyoncés Vision von Feminismus, so schreibt sie in ihrer Kritik des Albums „Lemonade“ (hooks 2016), riefe nicht zur Beendigung des Patriarchats auf und vernachlässige die Aspekte von „class, sex and race“. Statt die wahre Bedeutung von Feminismus zu enthüllen, propagandiere sie „fantasy feminism“.
Dies wirft die Frage auf, was wahrer Feminismus ist und, ob es so etwas überhaupt gibt. Andi Zeisler, Mitbegründerin der feministischen Zeitschrift “Bitch: Feminist Response to Pop Culture” würde letztere Frage mit „Ja“ beantworten. Die Tatsache, dass viele Prominente in den letzten Jahren ihre individuellen Definitionen von Feminismus geäußert haben bzw. dazu befragt worden sind, erachtet sie als problematisch, da es bereits eine eindeutige Definition gebe. Es sei frustrierend, wie sehr die feministische Bewegung von Prominenten abhänge, aber dennoch notwendig, da Prominente nicht nur über die Fähigkeit verfügten, sich Gehör zu verschaffen, sondern auch, aufgrund ihrer geringeren Reibung mit den Themen des Feminismus, oft ernster genommen würden. Was zunächst widersprüchlich klingt, erklärt Zeisler mit dem verbreiteten Phänomen, dass Feminismus automatisch mehr Legitimation beigemessen werde, wenn er von Personen befürwortet werde, die weniger von gender inequality betroffen seien. Dass sich jemand, obwohl er reich, gutaussehend und berühmt ist, dafür einsetzt ist, sei für viele Ausdruck dessen, dass es sich um ein wirklich wichtiges Thema handele. (Zeisler 2016, S.132) In diesem Kontext lässt sich nun auch Elizabeth Planks Entscheidung als Aufmacher zu ihrem Artikel „28 Most Iconic Feminist Moments of 2013“ ein Bild von Beyoncé, inszeniert als Königin zu wählen, besser verstehen. Die Botschaft der Medien, Popstars wie Beyoncé trügen zur Klarstellung der wahren Bedeutung von Feminismus bei, sei allerdings irreführend, zumal Feministinnen wie Gloria Steinem, Rebecca Walker, Naomi Wolf und viele andere bereits vor Jahrzehnten mit Vorurteilen wie Männerfeindlichkeit aufgeräumt hätten: „As well-meaning as individual feminist celibrities might be, this mediated response to them just serves to reinvent a wheel that didn’t get us very far to begin with“. (Zeisler 2016, S.127)
Fehlende Innovation ist auch ein wesentlicher Punkt in bell hooks Kritik von „Lemonade. So hätte bereits Julie Dash in Zusammenarbeit mit dem Kameramann Arhur Jafa im Film „Daughters of the Dust“ ähnliche Bilder Schwarzer Frauenkörper auf den Bildschirm gebracht, ebenso die Fotografin Carrie Mae Weems. (hooks 2016)

In ihrem öffentlichen Brief an Miley Cyrus äußert O‘ Connor ihre Sorge darüber, dass ihr Umfeld sie glauben gemacht habe, es sei „in any way 'cool' to be naked and licking sledgehammers in your videos.” (O’Connor 2013) Mit ihrem Verhalten verkörpere Cyrus die message, dass es cool sei, prostituiert zu werden. Die wiederholte Verwendung der Passivform (auch „to be pimped“, „to be exploited“) macht deutlich, dass O‘ Connor Cyrus für unfähig hält, eigene Entscheidungen zu treffen und zu ihrem eigenen Besten zu handeln. Ihre Aussagen erinnern stark an den Tonus von bell hooks, wenn sie Beyoncé als Mitkonstrukteurin ihres Sklavenimages bezeichnet. O‘ Connors Kritik setzt jedoch an einem tieferen Punkt an, so macht sie für Cyrus Verhalten das System das Show- bzw. Musikgeschäft verantwortlich anstelle es im Rahmen des gesellschaftlichen Systems zu analysieren: „The music business doesn't give a shit about you, or any of us. They will prostitute you for all you are worth, and cleverly make you think its what YOU wanted”.
Beide Kritiken machen deutlich, worin der wesentliche Unterschied zwischen „celebrity feminism“ und feministischer Bewegung besteht: Beim ersterem geht es um Individuen, bei letzterem um Systeme. (Zeisler 2016, S. 132)
Cyrus‘ Interpretation von Feminismus dreht sich vor allem um die Freiheit, all das tun zu können, worauf man Lust hat, ohne Angst davor haben zu müssen. Frei nach dem Motto:
        
       „It’s our party we can do what we want
        It’s our party we can say what we want
        It’s our party we can love who we want
       We can kiss who we want, we can sing what we want“
       (“We can’t stop”)

Diese Auslegung von Feminismus erscheint auf den ersten Blick sehr tolerant und inspirierend. Die Kehrseite ist, dass unter dieser Prämisse jede Entscheidung als potentiell feministisch gilt. Eine Bewegung, die für alles stehe, stehe gleichzeitig für nichts, zeigt Linda Hirshman, Schöpferin des Begriffs „Choice Feminism“, auf. Sie bezieht sich dabei vor allem auf die Rechtfertigung vieler Frauen, sich bewusst dafür entschieden zu haben, sich um Kinder und Haushalt zu kümmern statt arbeiten zu gehen. “Choice Feminism“ gebe jenen Frauen das Gefühl, dass jede Entscheidung, die sie treffen, eine gute und daher befreiende Entscheidung sei. Zuhause zu bleiben, sei jedoch weder gut für die Frauen noch für die Gesellschaft: “[T]heir commitment, their talent and education are lost from the public world”. Die Folge: Immer mehr Männer befänden sich in Führungspositionen und weibliche Stimmen fänden immer weniger Gehör. (Hirshman 2006, S.1) Auch O‘ Connor erkennt in Mileys Verhalten einen Beitrag zur Profitsteigerung von Männern („men are making more money than you are from you getting naked“). Indem sie sich freizügig kleide, trage sie nicht nur zum Reichtum jener Männer bei, sondern auch zur Verbreitung der Nachricht, dass Frauen für nichts außer ihrer Sexualität wertgeschätzt werden, was wiederrum zur Aufrechterhaltung eines bestimmten Frauenbildes im Musikgeschäft beitrage. (O’Connor 2013) Beyoncés Feminismus, so bell hooks, bestehe vor Allem darin, auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu bestehen, und vernachlässige dabei Themen wie Intersektionalität und existierende Systeme der Unterdrückung. Sie bringe zwar den emotionalen Schmerz Schwarzer Frauen in Bildern zu Geltung, fordere aber nicht die Verhältnisse, die diesen Schmerz verursachen, heraus. (hooks 2016) Doch inwiefern ist ein Album einer Popkünstlerin wie Beyoncé überhaupt in der Lage dies zu leisten?

Eine Stelle in Lilly Allens “It’s hard out here” lautet:  „Inequality promises that it's here to stay
Always trust the injustice 'cause it's not going away”. In Bezug auf das bereits erwähnte Interview mit Shortlist lässt sich die Vermutung anstellen, dass Allen sich dabei nicht nur auf die ungleiche Behandlung von Mann und Frau, sondern auch auf die unterschiedliche Behandlung von einzelnen Frauen, insbesondere im Showgeschäft, bezieht. Während Allen auf textlicher Ebene Unterschiede in Aussehen, Gewicht, Vermögen, Fähigkeiten und Verhalten besingt ohne dabei auf den ethnischen Hintergrund der einzelnen Frauentypen einzugehen, fällt beim Betrachten des Musikvideos auf, dass Allen hauptsächlich von Schwarzen Tänzerinnen (vier von sechs) umringt ist. Obwohl Lily Allen Teil der Choreographie ist, liegt der Fokus stets auf den anderen Tänzerinnen, die im Gegensatz zur Sängerin, deren Outfits stets Arme und Beine bedecken, fast durchgängig nur in Unterwäsche und High Heels gekleidet sind. Die Frauen twerken und berühren sich lasziv selbst, posieren mit Geldscheinen und Zigaretten, übergießen sich selbst mit Champagner oder werden übergossen. Immer wieder wird auf sich schüttelnde Schwarze Hintern gezoomt, nachdem Lilly Allen zu Beginn des Liedes noch „I don’t need to shake my ass for you cause I got a brain“, gesungen hat. Es ist die Distanz, die dadurch zwischen Allen und den Schwarzen Tänzerinnen entsteht, die für viel Kritik gesorgt hat.

„If anyone thinks for a second that I requested specific ethnicities for the video, they're wrong.  […] If I could dance like the ladies can, it would have been my arse on your screens; I actually rehearsed for two weeks trying to perfect my twerk, but failed miserably. If I was a little braver, I would have been wearing a bikini too, […] me being covered up has nothing to do with me wanting to disassociate myself from the girls, it has more to do with my own insecurities […]“,

schreibt Allen daraufhin bei TwitLonger (2013). Das Video sei als Satire auf die Objektivierung von Frauen in der Popkultur gemeint, mit race habe es absolut nichts zu tun. Doch wie Ayesha A. Siddiqi in ihrem Artikel „Lily Allen’s Anti-Black Feminism“ deutlich macht, geht es in der Kritik weniger um Allens Intention, sondern viel mehr um die Wirkung des Videos. Die Tatsache, dass die Sängerin, dazu in der Lage sei, race zu ignorieren, vermöge es nicht, die bedeutenden rassistischen Konnotationen ihres Liedes aufzulösen. (2013) Das Problem bei „It’s hard out here“ besteht offensichtlich nicht in Lily Allens individueller Einstellung zum Thema race, sondern in ihrer Verkennung der Strukturen des Systems, in welchem das Video geteilt wird.


4. Schwarzer und Weißer Feminismus in der Popmusik

„There is a direct and abiding connection between the maintenance of white supremacist patriarchy in this society and the institutionalization via mass media of specific images, representations of race, of blackness that support and maintain the oppression, exploitation and over all domination of all black people.”(hooks 1992, S.2)

In “Black Looks. Race and Representation” beschreibt bell hooks den notwendigen Prozess der Dekolonialisierung der Gedanken und der Überwindung von internalisiertem Rassismus, der nicht nur von weißen, sondern auch von Schwarzen Menschen, die die Welt durch die „lens of white supremacy “ sehen, aufrechterhalten werde. So beeinflusse die spezifische bildliche Darstellung von Schwarzen Menschen (oft unbemerkt) nicht nur die Art, wie Weiße Schwarze sehen, sondern auch wie Schwarze sich selbst sehen (und darstellen). (hooks 1992, S.1) Viele Schwarze Menschen würden sich dieser Einsicht entziehen, da der Schmerz, der damit einhergehe so groß sei. (hooks 1992, S.6) Und doch seien die Bilder Teil der gemeinsamen Krise, sei es im Angesicht der großen Zahl Schwarzer Obdachloser, Arbeitsloser und Drogensüchtiger oder in Form von Filmen wie „Boyz’N The Hood“. Nur wenn eine Umformung der Bilder und der Art, zu sehen und gesehen zu werden, in Gang gesetzt werde, könne eine radikale Intervention und damit Verbesserung der Situation erlangt werden. Dazu gehöre auch, dass Weiße, ihre Perspektive und ihren Anteil an Kommodifizierung und Aneignung von blackness hinterfragten. (hooks 1992, S.7)

Die Unterscheidung zwischen „Black“ und „White Feminism“ ist ein Ausdruck dieser Umformung. Obwohl Schwarze Frauen schon immer Teil der feministischen Bewegung waren, sind ihre spezifischen Kämpfe als Mitglieder zweier unterdrückter Gruppen lange Zeit verdeckt geblieben. In den 1960er Jahren bildet sich „Black Feminism“ schließlich als Antwort auf Rassismus innerhalb der Frauenbewegung und Sexismus innerhalb der Black Liberation Bewegung heraus. Politische Weiterentwicklung brachte dann zusätzlich die Auseinandersetzung mit „Hetero-sexismus“ und wirtschaftlicher Unterdrückung in Folge des Kapitalismus mit sich, wie das Combahee River Collective 1981 in „A Black Feminist Statement“ angibt. (S.212) Oberstes Ziel der Bewegung ist das Zugeständnis des menschlichen Grundbedürfnisses der Autonomität und die Anerkennung als „human, levelly human“. (CRC 1981, S.214) Die Basis dafür sind gelebte Selbstliebe und ein starker Fokus auf Sisterhood. Der Gruppe zufolge besteht eine große Herausforderung für die Organisation in der Abwesenheit eines Privilegs („racial, sexual, heterosexual, or class privilege“), auf das man sich stützen könne. (CRC 1981, S.214) Obwohl sich viele Schwarze Frauen der Verzweigung von Sexismus und Rassismus bewusst seien, sei das Risiko, das ein Kampf gegen beides zur gleichen Zeit mit sich bringt, oft zu groß. (CRC 1981, S.216)
Der Kampf weißer Mittelklasse-Frauen, welche die Frauenbewegung in ihren Anfängen hauptsächlich in den Medien repräsentierten, war ein anderer. So bestand er vor allem in der Erkämpfung von Gleichberechtigung in Haushalt und Arbeitsmarkt. Die Fokussierung auf die weiße, westliche Perspektive in der Feministischen Bewegung bildet die Basis für den Begriff „White Feminism“, der im Gegensatz zu „Black Feminism“ vorwiegend im Internet und weniger auf wissenschaftlicher Basis diskutiert wird.
In „Why We Need To Talk About White Feminism” präsentieren Zeba Blay und Emma Gray daher eine genauere Erklärung des Begriffs. Grundsätzlich sei darunter eine Form von Feminismus zu verstehen, die Intersektionalität ignoriere, heißt es in dem Video.
Im Prinzip schließe „White Feminism“ die Erfahrungen von jedem aus, der nicht weiß und/oder cis- und heterosexuell sei. Während die notwendige Angleichung der unterschiedlichen Gehälter von Mann und Frau thematisiert werde, werde außer Acht gelassen, dass Schwarze und Latina Frauen oft noch weniger verdienen würden als weiße Frauen. Weitere Themen, die von „White Feminism“ außer Acht gelassen würden, seien rassistische Polizeigewalt gegenüber Schwarzen Frauen und die Bedeutung von „Whiteness“ in der Festsetzung von Schönheitsidealen. Als Beispiel für letzteres wird ein Foto, das ein weißes Model im Bikini hockend von hinten zeigt eingeblendet. „This is okay“, stellt Emma Gray fest. Im Anschluss daran wird das bereits erwähnte Albumcover von Nicki Minaj gezeigt: „But this isn’t“. (Blay/Gray 2015)
Als Reaktion auf die vielfältige Kritik an dem Cover hatte Minaj 2014 denselben Vergleich gezogen und die beiden Bilder (sowie weitere Bilder von weißen Models in Bikinis) bei Twitter gepostet mit den Bildunterschriften „Acceptable“ und „Not Acceptable“. Dass sich Minaj überhaupt rechtfertigen muss, empfindet Vanessa Quilantan als Zumutung und schreibt Chuck Creekmur daher einen öffentlichen Brief zurück:

“You may think your letter couldn't be further from that realm of modern female oppression, but like those ultra conservative white guys in Washington who make us disclose our birth control methods to our bosses and fight to keep our basic reproductive health care options—you're just another dude trying to tell a woman she's not allowed to be sexual on her own terms.” (Quilantan 2014)

Das Ausleben der eigenen Sexualität zu eigenen Bedingungen, ist die Quintessenz sexueller Befreiung. Das bedeutet auch, seinen eigenen Körper auf anti-sexistische Art und Weise zu respektieren (bell hooks 2000, S.86). Chuck Creekmur, ebenso wie Sinéad O’Connor und bell hooks implizieren mit ihrer Kritik, dass die einzelnen Sängerinnen dies nicht tun würden. „Hypersexuality“ nennt Creekmur es, Ausbeutung der Sexualität Sinéad O’Connor und bell hooks meint Teile in Beyoncé zu erkennen, die nicht nur anti-feministisch sondern geradezu terroristisch seien (The New School 2014). In den Anfängen der feministischen Bewegung habe der Fokus vor Allem auf der Erkämpfung des Rechts, wann immer und mit wem auch immer sexuell sein zu können, gelegen, sodass die Ausbildung eines kritischen Bewusstseins zu wenig Beachtung erfahren habe, schreibt bell hooks (2000, S.86). Welchen Einfluss hat Popmusik auf das kritische Bewusstsein Heranwachsender zur Wahrnehmung der eigenen Sexualität? Und welche Rolle spielt das Feminismus-Label dabei?
Es gebe sexuelle Dinge, die sie tue, die nicht für Männer bestimmt seien, sagt Nicki Minaj (2015): „I feel empowered sometimes by being sexy and being comfortable enough to be sexy on camera“. „Women should own their sexuality“, so Beyoncé. Es sei möglich, alles zu sein, was man möchte – Geschäftsfrau, Mutter, Künstlerin und Feministin – und dennoch sexy zu sein. (Knowles-Carter 2014) Der doppelte Standard hinsichtlich des Auslebens der Sexualität von Mann und Frau sei verrückt. Miley Cyrus sieht es ähnlich: “I mean, guy rappers grab their crotch all fucking day and have hos around them, but no one talks about it. But if I grab my crotch and I have hot model bitches around me, I'm degrading women? I'm a woman—I should be able to have girls around me! But I'm part of the evolution of that. I hope.”(Elle 2014)
Selbstbestimmung, Macht, „Empowerment“ sind die entscheidenden Stichworte. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Unter Theoretikern herrscht Uneinigkeit darüber. Die grundsätzliche Frage in der Diskussion darüber lautet, ob „feeling empowered“ gleichzusetzen sei mit „being empowered“. (Lamb 2009, S.301) Dabei ist zu unterscheiden, zwischen dem subjektiven Gefühl, Macht zu besitzen und der objektiven Bemessung tatsächlicher Macht. Wenn man Empowerment jedoch als etwas jenseits von Selbstwahrnehmung konzipiert, so stellt sich unweigerlich die Frage, wie zu beurteilen ist, ob jemand „empowered“ ist oder nicht. Ohne den Begriff des „Choice Feminism“ zu verwenden, geht Sharon Lamb auf einen Zusammenhang des Konzepts mit der Vorstellung von Empowerment ein. So werde die „idea of choice“ oft von Feministinnen der dritten Welle mit Empowerment verwechselt. Viele Bilder von Frauen, die als “in charge of her sexuality” gelten, kämen heutzutage aus der Welt der Pornographie, so Lamb, und reproduzierten daher Szenen, geprägt von männlichem Voyeurismus und weiblicher Viktimisierung und/ oder Unterdrückung.

„While it is important for girls like boys to feel permitted, even empowered, to be sexual — fully human — we must remember that the kind of empowerment a girl may be feeling when enacting porn images is the power to be sexual primarily and possibly only through imitating one kind of being sexual, a kind oriented towards being a sexy object for someone else“,

schreibt Lamb weiter. Das würde bedeuten, dass es nicht möglich wäre, für sich selbst „sexy“ zu sein, so wie es beispielsweise Nicki Minaj für sich beansprucht. Lamb geht jedoch noch weiter auf diesen Punkt ein und liefert zwei Perspektiven der Psychologie auf die Problematik. Die erste zeigt auf, dass es womöglich weniger darauf ankommt, für wen die Frau sexy sei, sondern viel mehr darauf, von wem sie dafür belohnt werde, oder anders gesagt: wer darüber bestimmt, was sexy ist. Dies wiederrum sei das Patriarchat. Die zweite Perspektive geht nicht davon aus, dass die Frau auf eine Belohnung aus sei, sondern dass sie stattdessen eine falsche Form der Subjektivität entwickelt habe. Dabei bezieht sich Lamb auf Louis Althussers Konzept vom Individuum, das sich als autonom wägt, aber tatsächlich eine Ideologie repräsentiert, der es untergeordnet ist.

 „Applied to the teen girl, she believes she is autonomous, choosing to be the kind of object that has been defined as sexy by an all-male highly marketed media-influenced audience […] but this choice is restricted by discourse and traditional ideologies of what it means to be heterosexual, sexual, and sexy for a woman “. (Lamb 2009, S.301)

Ohne die Inszenierungen der einzelnen Sängerinnen als pornographisch bezeichnen zu wollen, sollte an dieser Stelle noch einmal die Frage aufgeworfen werden, inwiefern es für Frauen überhaupt möglich ist, sich zum einen in einer patriarchalen Gesellschaft und zum anderen im von Männern dominierten Musikgeschäft [2] frei zu entscheiden. Künstlerinnen ihre Willensfreiheit grundsätzlich abzusprechen, ändert jedoch genauso wenig an bestehenden Strukturen wie die vermeintlich freie Entscheidung, sich sexy zu präsentieren.

Während Beyoncé und Nicki Minaj von vielen Seiten als „Black Feminists“ bezeichnet werden, hat Miley Cyrus neben dem Titel „Queen of Twerk“ den der „Queen of White Feminism“ auf sich gezogen. Die Kritik an Mileys Performance eines Tanzstils, der sich einreiht in eine Vielzahl von ausdrucksstarken „hip and booty“- Tänzen von in den USA lebenden Jugendlichen mit afrikanischem und südamerikanischen Hintergrund, stützt sich auf zwei Faktoren – zum einen die Rolle der (weißen) Mainstreammedien, die Miley zur „mother of all twerks“ und „new twerk queen“ stilisierten ohne dabei auf die Ursprünge des Tanzes hinzuweisen, und zum anderen auf Cyrus‘ scheinbare Unbekümmertheit darüber.
Fünf Jahre lang war Miley Cyrus der Star der Teenie-Serie „Hannah Montana“, die vom Doppelleben der Schülerin Miley Stewart handelt, die abends zur berühmten Sängerin wird. Besonders bei jungen Mädchen war die Serie beliebt. Nach dem Auslaufen der Serie „Hannah Montana“ im Jahr 2011, konzentrierte sich Cyrus dann zunehmend auf ihre bereits in Gang gekommene Musikkarriere. In Zusammenarbeit mit den Produzenten Pharrell Williams und Mike will made veröffentlicht sie 2013 das Album „Bangerz“, indem auch „We can’t stop“ enthalten ist. Im März desselben Jahres lädt sie ein Video mit dem Titel „#1Z #TWERK #WOP“ auf ihrer Facebook-Seite hoch, das sie twerkend im Einhornkostüm zeigt. Kyra D. Gaunt wird diesen Moment später als den Beginn einer „subversion of the history, complexity and meaningfulness of the black social dance and the role black females play/played in it“ bezeichnen. (Gaunt 2015, S.244) Es habe eine Zeit gegeben, in der sie sich gewünscht habe, noch einmal als eine neue Künstlerin von vorne anzufangen, sagt Cyrus 2014 im Elle-Interview. „[T]he world has kind of allowed me to do that.” (Cyrus 2014). Diese sogenannte Erlaubnis wurde insbesondere durch die Darstellung in den weißen Mainstreammedien unterstützt, die nicht nur regelmäßig über Cyrus‘ Interpretation des Bounce berichteten, sondern auch jede weitere Abweichung vom Image des braven Teenie-Idols dokumentierten; von knappen Outfits bis hin zum illegalem Drogenkonsum. Ihr in der Öffentlichkeit als skandalös aufgefasstes Verhalten wurde somit ein Teil ihres Images, ebenso wie schließlich ihre Selbstbezeichnung als „Feministin“. Während sie auf Kritik an der Darstellung ihrer Sexualität einging und dies mit ihrer Unterstützung feministischer Ziele verknüpfte, wies sie jedoch jegliche Kritik an der Aneignung Schwarzer Kultur von sich.[3] So bezeichnete sie die Kritik an ihren Auftritten mit Schwarzen Tänzerinnen als „mind-boggling“ und tat den Vorwurf der Aneignung und Ausnutzung Schwarzer Kultur als schlichtweg falsch ab, ohne sich mit dem Kontext der Kritik auseinanderzusetzen. (Norris 2017)


5. Möglichkeiten und Grenzen des Popfeminismus 

Alle vier Sängerinnen haben in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass Feminismus nicht nur in der medialen Öffentlichkeit, sondern auch im Internet vielfältig diskutiert worden ist. Neben den Inhalten, für die Feminismus steht, wurde vor allem auch diskutiert, wofür er nicht steht. Die Kommerzialisierung der Bewegung hat dabei viel Kritik gefunden. Insbesondere bell hooks Kritik an Beyoncé sticht dabei hervor, die die Einbettung von Feminismus in das System der „imperialist, white supremacist, capitalist patriarchy“ hinterfragte. Vielleicht ist Feminismus in der Popmusik weniger Ausdruck einer gelebten politischen Einstellung als ein angesagtes Label, doch ist es nicht wichtiger, dass allein die Nennung des Wortes „Feminismus“ Anlass zur Diskussion liefert? Wenn sich Prominente zum Feminismus bekennen oder den Begriff individuell auslegen, erreichen sie meist ein größeres Publikum, als die feministische Bewegung selbst. Schnell kann ein Statement dann performativen Charakter bekommen. Wenn beispielsweise Miley Cyrus verkünde, dass sie Feministin sei, so beanspruche sie nicht nur eine Identität für sich, sondern setze gewissermaßen auch die Bedingungen fest, die diese Identität ausmachen.“, so Anita Brady. (2016, S.434) Dies zieht fast zwangsläufig einen internen Konflikt nach sich, da Intention nicht immer gleich Wirkung und Einflussmacht nicht immer proportional zu Kenntnisstand sind. Während die Mainstreammedien über Konflikte, die sich innerhalb der Prominentensphäre abspielen (in Form von öffentlichen Briefen oder Tweets) berichten – wenn auch eher im Hinblick auf Emotionen als auf Inhalte – bietet das Internet eine optimale Plattform für eine (zum Teil pseudo-) wissenschaftliche Debatte über die Definition des Begriffs. Sich zu Feminismus äußern, kann jeder, unabhängig davon, wie gut er sich mit dem Thema auskennt. Und so finden sich neben AktivistInnen und Menschen, die sich jahrelang mit Feminismus auseinander gesetzt haben auch “people freshly enrolled  in their first “women’s studies” in hitzigen Diskussionen wieder. Die zahlreichen Belehrungen von Feministinnen untereinander können nach außen den Eindruck erwecken, es handele sich bei der Feministischen Bewegung um “a movement that’s eating its own” (S.131), nichts desto trotz sei der interne Diskurs wichtig, so Zeisler.
Das Aufkommen der Diskussion über „White“ und „Black Feminism“ zeigt auf, dass neben Geschlecht auch die Kategorien race und Klasse eine wichtige Rolle für jeden individuellen Kampf von Frauen spielen. Intersektionalität wird in der Popmusik allerdings oft nicht thematisiert. (Sexuelles) Empowerment hingegen ist eines der Hauptthemen, wobei eine objektive Messung von Empowerment nahezu unmöglich erscheint, da nicht eindeutig beurteilt werden kann, von welchen Faktoren Entscheidungen für eine spezifische Darstellung von Körperlichkeit und Sexualität abhängen. ‚Popfeministinnen‘ wird oft unterstellt, dass sie lediglich zustimmen, dass eine Veränderung notwendig ist, ohne aktiv dazu beizutragen. Allerdings ist es wichtig zu berücksichtigen, dass sich PopsängerInnen innerhalb eines Systems befinden, von deren Aufrechterhaltung sie profitieren. Das Privileg, reich, berühmt und attraktiv zu sein, welches einerseits die Glaubhaftigkeit unter den Hörern ihrer Musik bekräftigt, trägt andererseits dazu bei, dass die eigene Rolle im System zu wenig Beachtung erfährt. Der Feminismus gibt PopsängerInnen zwar die nötigen Werkzeuge an die Hand, um dieses zu revolutionieren (eines davon ist beispielsweise die von Allen angesprochene Frauenquote). Bevor diese angewandt werden können, muss jedoch zunächst ein Bewusstsein über die individuelle Verortung des Künstlers im patriarchalen System entstehen. Die offene Debatte im Internet trägt entscheidend dazu bei.
Andi Zeisler fordert, dass man Prominente künftig lieber fragen sollte, wie sie Feminismus in ihrer Arbeit und ihrer Community ausleben, anstatt sie um eine individuelle Definition des Begriffs zu bitten. Das ist sicherlich ein guter Ansatz.  Aber vielleicht ist es letztendlich wichtiger zu fragen, was Feminismus für Popmusik, als was Popmusik für Feminismus leisten kann.

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Literaturverzeichnis

Monographien
Hirshman, Linda (2006): Get to work… and get a life before it’s too late. (Ebook), New York: Penguin Group
hooks, bell (1992): Black Looks. Race and Representation, Boston: South End Press
hooks, bell (2000): Feminism is for everybody: passionate politics, Cambridge: South End Press
Zeisler, Andi (2016): We were feminists once. From Riot Grrrl to Cover Girl ®, the Buying and Selling of a Political Movement, United States: PublicAffairs

Zeitschriftenartikel
Anita Brady (2016): Taking time between g-string changes to educate ourselves: Sinéad O’Connor, Miley Cyrus, and celebrity feminism, in: Feminist Media Studies, 16, S.429 – 444.
Combahee River Collective (1981): A Black Feminist Statement, in Women's Studies Quarterly, 42, S. 271–280.
Gaunt, Kyra D. (2015): YouTube, Twerking & You: Context Collapse and the Handheld Co-Presence of Black Girls and Miley Cyrus, in: Journal of Popular Music Studies, 27, S. 244-273.

Internetquellen
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[1] Die gleichnamige private Facebook-gruppe wurde wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl am 07.11.2017 gegründet und bot mehreren Tausend Amerikanerinnen eine Plattform, um Geschichten und Support-Bekundungen miteinander zu teilen. Unter anderem wurde in der Gruppe dazu aufgerufen, sich am Wahltag im Hosenanzug (dem Markenzeichen der Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton) zur Wahlurne zu begeben und so seine Unterstützung deutlich zu machen. Clinton bedankte sich schließlich persönlich dafür: “For some of you, it’s been difficult to feel like you could wear your support on your sleeve — and that’s why this community has been such a special place.”
[2] Siehe dazu auch https://www.digitalmusicnews.com/2017/02/06/creepy-men-in-music/
[3] Siehe dazu auch: http://www.mtv.com/news/2342088/nicki-minaj-explains-miley-cyurs-feud-vmas/

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Zitiervorschlag: Krompos, Johanna (2017): "Möglichkeiten und Grenzen des Popfeminismus",  online unter:
https://beyonce-seminar.blogspot.com/2017/11/moglichkeiten-und-grenzen-des.html

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